5.II.1916 “Wir leben hier in Erwartung der Dinge, die kommen sollen”

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 5. II. 1916

 

Liebe Mama!                                                                                                                       Etain, den 5. 2. 1916

… Außerordentlich überrascht war ich, als ich von Gerhart eine Karte aus Aachen erhielt mit der Nachricht, er sei garnisionsdienstfähig geschrieben usw. Wenn ich in der Angelegenheit einen Rat geben soll, so bin ich der Ansicht, dass Gerhart unbedingt versuchen muss, zu einem Kursus zu kommen, da er nur dort die Gewähr hat, Offizier zu werden. Ist er dann Leutnant, so kann er immer noch versuchen, zu den 19. versetzt zu werden. … Herr von Gilsa würde ihn ganz hervorragend nett aufnehmen. Befördert würde er auch. Das ginge aber natürlich nicht von heute auf morgen. Wie gesagt, Gerhart würde höchst anständig behandelt werden, da man hier vor Leuten, die von einer brenzligen Stelle der Front, zumal Flandern, kommen, kolossalen Respekt hat. So ging es ja auch mir. Ich würde Gerhart aber raten, wenn ihm nicht Ernstliches fehlt, sich zu beeilen, wieder ins Feld zu kommen. Wir stehen vor dem entscheidendsten Abschnitt des Krieges. Leider darf ich Euch nichts von dem schreiben, was hier sich vorbereitet. Wir leben hier in Erwartung der Dinge, die kommen sollen. Für 7 Tage sind zum Regiment von einem Regiment, das hinten liegt, kommandiert pro Bataillon ein Offizier, pro Kompanie ein Unteroffizier, um unsere Stellung kennenzulernen. Den Offizier, der I/19 zugeteilt ist, habe ich mit den Dingen vertraut zu machen. Ich habe ihn hier sehr gut untergebracht und möglichst für ihn gesorgt, da er ein recht netter Mensch ist. Diente aktiv, als der Krieg ausbrach, in Straßburg und war zugleich an der Universität für Theologie immatrikuliert. … Er kommt daher, wo ich früher war mit seinem Regiment und Korps. –

Habe eben gebadet, was ein großer Genuss ist. Gestern Vormittag war herrliches klares Wetter. Ich war auf dem Riegel und betrachtete durchs Scherenfernrohr das feindliche Vorgelände, mit besonders sehnsüchtigem Blicke die „Côte“, die natürliche Festungsmauer Verduns. Ich beobachtete die Einschläge unserer 21 cm Mörser, die eine Batterie auf der sogenannten Pflaumenbaumhöhe ausgiebig mit Granaten belegte. Die Franzosen schießen öfters nach Etain. Überhaupt haben wir hie und da Verluste. Es ist eben Krieg. Bitte sofort eine Erkennungsmarke zu schicken!

Viele herzliche Grüße,

Wolfgang

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