2.III.1916 „Jedes Leben ist zu vernichten von den Geschützen des VII. und V. Reservekorps“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 2. III. 1916

Liebe Mama!                                                                                                                         2.3.1916

Zunächst gratuliere ich Dir herzlich zu Deinem Geburtstag und danke Dir herzlich für alles Gute, das Du mir hast zukommen lassen. Am 29.2. verließen wir den Grand Chêne Wald, der denen, die drin lagen, viel Blut kostete, da fortwährend mit leichten und schweren Kalibern reingeschossen wurde. Namentlich beim Essenholen kamen Verluste vor. Unsere Kompanie hatte noch Glück, da wir an einer weniger ausgesetzten Stelle lagen. Gott sei Dank sind wir nicht mehr Reserve und gehören minderwertigen Verbänden an. Wir liegen in vorderster Stellung am Fuß von Hardaumont vor Fort Vaux, 2-3 km vom Feind entfernt. Am Abend wurden wir auf eine Höhe geführt und uns befohlen, hier eine Stellung zu bauen. Natürlich darf man nur nachts schanzen. Am Tage liegen wir rückwärts am Hang, von dem man sich nicht entfernen darf, weil der Hügel sich nach rechts und links fortsetzt und man überall einzusehen ist. Nur zum III. Bataillon führt ein leidlich gedeckter Weg. Die erste Nacht schlief ich sub frigido Jove. Am Tage gruben wir uns dann Höhlen, 2 Zeltbahnen lang, 1 Zeltbahn breit, die die Zelte notdürftig bedachen. Man schläft auf trockenem Gras und Unkraut, das man sich zusammenrupft. Heute hab ich mein Loch mit Türen, die aus dem 400 m entfernt, nur bei Nacht zu erreichenden Dorfe D. stammen, bedeckt. Wir arbeiten am Bau eines Grabens abends bis 9 Uhr und von 3 Uhr morgens bis zum Hellwerden. Trotz der primitiven Verhältnisse ist die Stimmung der Leute vorzüglich. Von uns allen ist ein Druck genommen, seitdem wir den Riegel verlassen haben. Eben habe ich mich in einem Granatloch gewaschen. Nachts stellen wir natürlich etliche Doppelposten aus. Neben uns liegt in D. eine Kompanie Regiment 6. Den ganzen Tag ist ein Orkan auf Fort Vaux entfesselt, das in eine fürchterliche Rauchwolke gehüllt ist. Der Artilleriebefehl lautete: „Jedes Leben ist zu vernichten von den Geschützen des VII. und V. Reservekorps“. Die 42 cm Mörser schießen über uns hinweg. Die Geschosse gehen leicht trudelnd durch die Luft. Um 4 Uhr soll Vaux genommen werden. Unsere Aufgabe wird sein, Gelände am Fuße der Höhen zu nehmen.

Ich bitte Euch, die Zeitungen sorgfältig aufzuheben und die französischen Berichte zu beachten. Wenn auch mal ein Angriff von uns nicht gelingt – das ist ganz selbstverständlich. Damit ist stets zu rechnen. Dass Verdun in unsere Hand kommt, ist aber sicher. Habt Ihr eine gute Karte, um alle Orte nachzusehen? Die Berichte der Kölnischen Zeitung sind sehr richtig. Eben bekamen wir den Befehl, uns marschbereit zu halten. Die Gegend ist hier recht reizvoll. Kleine Wälder, Weiden, Hecken, einzelne Bäume. Heute Vormittag war strahlendes Wetter, jetzt bewölkt. Mir fehlt Briefpapier sehr. Bitte mir immer einen Brief mit Umschlag beizulegen. Papas Brief erfreute mich unbeschreiblich, als ich nach der Nachtarbeit von einem totenähnlichen Schlaf erwachte und Post vorfand. Vielen Dank für Heilmittel und das Rasierzeug, Schweinefleisch und Brief vom 27. 6. Die Kartentasche ist famos und wird mir unentbehrlich sein. Ich habe drin Feldpostkarten, Briefe, die ich bekomme, Meldeblock und Reclams, die ich bekam.

Na, viele Grüße, Heil und Sieg,

W.

Nochmals herzlichste Glückwünsche.

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