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(1986) Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, Stuttgart, Metzler.

1934 – 1936

Karl Löwith

pp. 81-110

Der Theologe Bultmann lud uns zusammen mit meinen nächsten Kollegen (Gadamer, Krüger und Frank) am Abend vor meiner Abreise zum Abschied ein: ein Vertreter protestantischer Christlichkeit war bezeichnender Weise der einzige Gastgeber eines hinausgeworfenen Juden, der in seinen Vorlesungen den Studenten der Theologie den Verfall des Christentums dargestellt hatte! Von den übrigen Bekannten und Freunden, von Haendly und de Boor, von Birtner und Jacobsthal, hatten wir schon vorher Abschied genommen. Das Verlassen des Hauses am Kirchhainerweg vollzog sich ohne jede Anhänglichkeit, die Ablösung machte sich nach einem Jahr Nationalsozialismus wie von selbst. Ich reiste am folgenden Morgen nach München zu meiner Mutter und von dort weiter nach Rom. Das Einpacken unserer Sachen, die vorerst in Marburg blieben, besorgte meine Frau mit der freundlichen Hilfe meiner zwei liebsten Studenten B. und M. — An der Grenzstation Kufstein wurde ich in der Nacht von einem deutschen Beamten aus dem Waggon geholt. Ich mußte mit meinem Gepäck ins Stationsgebäude, wo man mir alle Taschen umkehrte und mich bis aufs Hemd untersuchte. Die paar hundert Lire, die ich über die erlaubte Summe hinaus mit mir hatte, blieben unentdeckt; sie ruhten währenddessen im Waggonabteil auf dem Boden einer Zigarettenschachtel.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03222-5_2

Full citation:

Löwith, K. (1986). 1934 – 1936, in Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, Stuttgart, Metzler, pp. 81-110.

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Re-editions

1934 – 1936

2007

Karl Löwith

in: Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, Stuttgart : Metzler