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204264

(1978) Materialien zur Soziologie des Alltags, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Reflexionen über das Alltägliche

Jan Szczepański

pp. 314-324

Beginnen wir mit der Frage, welche Elemente der sozialen Wirklichkeit wir als alltägliche bezeichnen. Die erste Assoziation, die sich uns als Antwort stellt, ist, daß das, was Tag für Tag passiert, alltäglich ist. Jedoch schon die nächste Assoziation wird uns sagen, daß doch auch die außergewöhnlichen Ereignisse, die unmäßig selten auftreten, ebenfalls an diesen Tagen sich ereignen. Gehen wir also dem Lauf solcher Gedanken-gänge nach, dann kommen wir zu einigen Gegenüberstellungen. Mit Alltäglichkeiten verbinden wir in unserer Vorstellung vor allem den Arbeitstag, der gegenüber dem Feiertag ein gewöhnlicher Tag ist. Diese Unterteilung existiert fast in allen Kulturen, die wir auf unserem Erdball antreffen; unterschieden wird hier der Alltag, der sündige oder geradezu der unreine Tag vom heiligen, der der Gottheit oder anderen transzendentalen Kräften geweiht ist. Der Alltag ist ein menschlicher Tag und menschlichen Angelegenheiten geweiht, es ist ein Tag der Betriebsamkeit und Mühen, ein Tag, an dem man den Trieben unterliegt, den Ambitionen, Verlangen und Neigungen; dagegen ist der heilige Tag ein göttlicher Tag, geweiht dem geistigen Verlangen,sich zu offenbaren, geweiht durch das Streben zu Gott und somit dem Alltag gegenübergestellt. Am heiligen Tag regiert in uns der 'starke Wille", am Alltag das 'schwache Fleisch". Feiertage sind in der Minderzahl. Vielleicht leitete man aus dem Vertrauen in die Macht des Geistes ab, daß eine geringe Anzahl der Feiertage ausreicht; vielleicht ist es aber auch die einfache Notwendigkeit der Erhaltung des Lebens und das Streben nach Befriedigung wachsender Bedürfnisse, welche eine Begrenzung der Anzahl der Feiertage und die Umgestaltung ihres Charakters bewirkten. Im Laufe meines Lebens, wenn ich die Art und Weise vergleiche, wie meine frommen Eltern den Sonntag verbrachten und wie er heute verbracht wird, sehe ich, wie sehr der Feiertag dem gewöhnlichen Wochentag ähnlich wurde. Es verschwindet also in Europa, und das in seinen beiden Teilen, der Unterschied zwischen Wochentag und dem Feiertag; die Bedeutung der "Sündhaftigkeit" des Wochentages geht verloren und an die Stelle des Unterschiedes zwischen dem Tag des "Sündigens' und dem "heiligen" Tag kommt immer stärker die Unterscheidung zwischen Werktag und dem Tag der Erholung.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-83603-8_13

Full citation:

Szczepański, J. (1978)., Reflexionen über das Alltägliche, in K. Hammerich & M. Klein (Hrsg.), Materialien zur Soziologie des Alltags, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 314-324.

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