29.II.1916 “Es ist schrecklich, so gar nichts zu wissen von dem, was vorgeht”

Vorderseite - Karte im Querformat;  Vorderseite: Gruppenfoto von hochrangigen Soldaten und Adligen, die an einem Tisch sitzen. Die 19 Namen der Personen sind am unteren Rand verzeichnet. Betitelt ist es mit der Überschrift "Aus großer Zeit";  Rückseite: Adressat: "Herrn / Friedrich Kantlehner sen. / (...) / Freudenstadt / Blumenstraße 14 / Wttbg.", Poststempel vom 24. März 1916, Text:  "Mannheim, den 23.3.16./ Liebe Eltern / Teile Euch mit dass / ich noch Gesund und munter / bin was ich von Euch / hoffe. Mit herzlichem / Gruß euer dankbarer / Sohn Richard"

Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 29. II. 1916

 

Liebe Eltern!                                                                                Wald Grand Chêne, 29. 2. 16

 

Soeben brachte mir die Feldküche die Briefe vom 24. und 25. des Monats. Es freut mich sehr, dass unsere seit Jahresbeginn aufs Genaueste vorbereitete Aktion in ihrer ganzen Bedeutung gewürdigt wird. Wahrscheinlich ist nur die Wegnahme Verduns beabsichtigt und es wird noch an einer anderen Stelle angegriffen. Leider ist unserer Division, der man wohl nicht viel zutraut, wenig zu tun gegeben.

15/19 marschiert ganz am Schwanze. Gestern Nacht schliefen wir wie zu Beginn des Krieges unter freiem Himmel im Walde. Gut, dass ich eine Zeltbahn habe. Es fing nämlich an zu regnen. Für diese Nacht bauten wir uns einen Unterstand „aus Stämmen, Zweigen und Erde“ und legten Reisig und Schilf rein, so dass wir bis auf die Beine, die stets wie Eisklumpen sind, recht mollig lagen. Feuer bekommt der Wald Tag und Nacht. Gestern wurde wieder einer verwundet. Hier stehen nämlich Feldgeschütze, 10 cm Kanonen und 21 cm Mörser. Die Stelle, wo wir liegen, ist dem Feuer nicht so ausgesetzt. Die hinter uns liegenden Kompanien wurden stärker mitgenommen. Heute Nacht krachten die Mörserschüsse ganz gehörig. Man hört so ein Biest schon vorher, wie es von oben herunterrauscht. Leider können wir die Lage nicht mehr recht genau verfolgen, wie in Bellevue, wo man jeden kleinen Fortschritt erfuhr. Das Fort Vaux sollte angegriffen werden und wurde auch schon wiederholt von 42 cm Mörsern beschossen. Was das Korps Deimling eigentlich macht, wissen wir auch nicht. Schon so und so oft hieß es, dass es Fort Tavanne angriff. Unsere Schwesterdivision ist heute Nacht nach rechts verschoben worden. Wahrscheinlich spielen sich die Hauptkämpfe jenseits der Maas ab. Das Wetter ist erträglich. Ich sitze hier, weil es zu regnen anfing, in unserer Bude. Leutnant Ladenburg ist von der Brigade zurückgekehrt, da er es bei Smalian nicht aushielt. Ein Offiziersstellvertreter, der bisher abkommandiert war, ist wieder bei der Kompanie. Ein Krachen und Heulen ist hier immer in der Luft, dass ihr Staunen würdet. Auf einmal ist Krieg. Gewehre, Uniformstücke und allerhand anderes liegt rum. Ich trage einen Mantel von einem 6. Das Regiment von Lenel ist wohl 126, rühmlich bekannt. Bischofsbrot erhalten. Es kam wie gerufen. Vielen Dank. Heute ist die Armeegruppe Deckert aufgelöst. Wir sind mal wieder beim III. Bataillon, das Hauptmann Henkel führt. Sonst ist nichts zu erzählen. Es ist schrecklich, so gar nichts zu wissen von dem, was vorgeht.

W.

Gerharts Karte freute mich sehr. Seine Majestät war vor einigen Tagen in Etain … bei Exzellenz von Deimling.

Bitte in jedem Brief Briefpapier.

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