14.II.1916 “Die Franzosen haben von unseren Absichten keine Ahnung”

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Wolfgang Husserl an Elli Husserl, 14. II. 1916

 

Liebe Elli!                                                                                                                                                                    „Zur schönen Aussicht“, den 14. 2. 16

Wir liegen hier nun schon einige Tage, entwickeln Schlachtenpläne und warten sehnsüchtig auf besseres Wetter, damit die Artillerie sich endlich einschießen kann. Das Schneewetter hat sich in Dreck und Regenwetter verwandelt. Wir exerzieren ein wenig, üben lautlos ausschwärmen und andere für einen Sturmangriff nützliche Sachen. Wir haben schon die Skizze der feindlichen Stellung, die unsere Division nehmen soll, bekommen. Es ist ein festungsartig aufgebautes Dorf. Den Namen kann ich später schreiben. Die Franzosen haben von unseren Absichten keine Ahnung. In Saarbrücken erzählte ich, auf welche Art uns ständig Nachrichten über die Verhältnisse beim Gegner zugehen. Sie beurlauben weiter. Ein Überläufer, oder vielmehr ein Verräter, der unsere Stellung für die seinige gehalten hatte, machte in demselben Sinne Aussagen. Die Ablösung unserer Division ging ganz lautlos vonstatten. Die beiden Regimenter sind jetzt in Ortschaften 10-15 km hinter der Front versammelt. Das System des Angriffs ist in einem ausnahmsweise vernünftigen Divisionsbefehl uns schon bekannt. Wir sind jetzt damit beschäftigt, die Ausrüstung kriegsmäßig und zweckentsprechend zu gestalten. Die Helmspitze wird abgeschraubt. Das Sturmgepäck: Mantel und Zeltbahn werden herzförmig um das Kochgeschirr gelegt und am Brotbeutelband rucksackartig getragen. Dass ich alle diese Sachen besitze, ist sehr wertvoll. Leider fehlt mir ein Revolver und eine Kartentasche. Am Koppel trage ich Fernglas, Brotbeutel, Feldflasche, Gasmaske, Seitengewehr und Dolch. Die Schuppenkette am Helm habe ich mit grünem Tuch umwickeln lassen. Die Sache ist glänzend organisiert. Wenn es nur erst mal losginge! Das Warten ist so schrecklich. Hauptmann Henkel führt das Bataillon und ruft die Kompanieführer jeden Augenblick zu einer Besprechung zu sich, was diesen gar nicht gefällt. Major von Langsdorff ist bis zum 24. des Monats beurlaubt. Leider wird die 15. Kompanie wieder einem anderen Bataillon verpumpt, wahrscheinlich dem II. Wir bringen die viele freie Zeit damit hin, die Post der Mannschaft zu lesen und zensieren, Karten zu spielen und zu lesen. Ich las eine Novelle von Wilbrandt, von Kleist Novellen und einiges andere. Jetzt ist mir die Lektüre ausgegangen. Ich bekomme von zu Hause ja noch weder leibliche noch geistige Nahrung, nicht einmal mein Rasierzeug wird mir geschickt. Die Verpflegung wird sehr knapp werden und sich wahrscheinlich nur auf mitgeführte eiserne Portionen beschränken.

Dein Brief vom 11.2. freute mich sehr, zumal ich daraus erfuhr, dass Du jetzt mehr Ruhe hast. Ich lese jetzt viel in der Zeitschrift „Deutsche Politik“ von Rohrbach. Deinen Artikel in der Göttinger Zeitung überflog ich, nicht ahnend, sein Verfasser seist Du. Einen schönen Gruß an Nina. Was macht sie jetzt? Auch Grüße an Herrn Carathéodory, dessen Thukydides noch bei mir ist. Mamas Brief vom 8. 2. auch erhalten. Viele Grüße an Gerhart. Gott sei Dank, dass es ihm gut geht. Die Zeit in Freiburg verspricht ja alles Gute, liegt aber leider für mich in weitester Ferne.

W.

 

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