2.II.1916 “Manchmal hat man vor eintretenden Dingen ein Grauen”

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 2. II. 1916

                                                                                                                                         Etain, den 2. 2. 16

Mein Urlaubsgesuch, das vom Regiment und der Brigade auf 10 Tage befürwortet der Division vorgelegt war, ist von dieser abgelehnt worden. Es kam eben gerade, als das Gesuch bei der Division lag, der Befehl vom A. O. K., dass Urlaub nur noch in den dringendsten Fällen gewährt werden dürfe. Ich hoffte immer noch, dass es bis zum Korps gegangen wäre. Dann hätte Exzellenz von Gündell mir schon Urlaub gegeben, ebenso wie Herr Major von Langsdorff, der nun doch gefahren ist, und zwar auf 24 Tage nach Baden-Baden. Na, aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Wenn die Urlaubssperre vorüber ist, reiche ich nochmal ein und dann kriege ich sicherlich. Ich bin eben ein paar Tage zu spät gekommen. Ich wollte erst gar nicht ran. Erst auf Deine Bitten hin reichte ich ein. Ich habe nicht mehr so viel zu tun. Morgen muss ich prüfen, ob in der Stellung die niedergelegten Bestände an Ess- und Trinkvorräten, Licht und Notdurft … (?) vollzählig vorhanden sind. Das Wetter ist trockener. Die schlimmste Jahreszeit ist vorbei. Was wir jetzt an Entwässerung in den Gräben bauen, wird uns nächsten Winter sehr zugute kommen. Ich denke, da wird kein solches Schlamassel eintreten und unsere Grabenverkleidungen werden halten. Man guckt hier im Festungskrieg in alle möglichen Handwerke herein. Manche Fachausdrücke sind mir jetzt so geläufig, als ob mein Vater Maurer, Schmied oder Zimmermann sei. Dein Brief vom 30. 1. freute mich sehr. … Ich hoffe aber, der Umzug wird erleichtert dadurch, dass Gerhart und ich fehlen. Strenge Dich nur nicht zu sehr dabei an. Manchmal hat man vor eintretenden Dingen ein Grauen, und wenn sie sich dann wirklich ereignen, ist immer alles halb so wild. So geht es mir wenigstens. Zuerst graute ich mich davor, Leutnant zu sein, und jetzt geht doch alles tadellos. Wem Gott ein Amt gibt, gibt er auch Verstand. Durch Eifer und „Sich-hineinleben“ kann man vielfach Vorkenntnisse ersetzen. Ich hatte doch von den technischen Dingen wenig Ahnung, und jetzt kann ich schon mitreden. Mit Herrn Hauptmann Frentzen, Führer der Pionierkompanie, die I/19 unterstellt ist, kann ich fast schon fachsimpeln. Neulich trank ich nachmittags bei ihm Kaffee. Er spielt beim Bataillon eine große Rolle. Er ist energisch, streng und rücksichtslos, aber stets sachlich (Sachlichkeit, d. i. Gerechtigkeit ist bei mir die höchste Tugend) und persönlich sehr nett. (Zivilberuf: Regierungsbaumeister, zuletzt im Ministerium für Bauten tätig). Also habe recht viel Humor beim Umzug. Bei jedem Kratzer, den die rohen Packknechte den schönen Polituren zufügen, musst Du sagen „verflucht“ und dann lachen. Dann bist Du militärisch. Hoffentlich kommt Gerhart nun auf Urlaub, wenn er so herunter ist.

Gruß,

Wolfgang

 

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