30.I.1916 “Ich denke, in Freiburg wird‘s auch nett werden”

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 30. I. 1916

 

Liebe Mama!                                                                                                        Etain, den 30. 1. 1916

Ich habe das Bedürfnis, mal wieder ausführlicher als bisher nach Hause zu schreiben. Wieder hat eine für mich sehr schöne und lehrreiche Zeit geendet, die Vertretung des beurlaubten Leutnants Wendelstadt, der heute wiedergekommen ist, und dem ich mit Stolz die Arbeiten, die ich um ein merkliches Stück vorwärts gebracht habe, übergeben konnte. 140 Leute, arbeitende Leute, unter sich zu haben, das sind mehr als 2 arbeitende Kompanien, ist doch eine ganz respektable Tätigkeit. …

Jetzt bin ich wieder Laufgrabenoffizier. … Euch kann ich das nicht schreiben, was uns jetzt hier bewegt, weil es streng verboten ist, über Truppenverschiebungen und derartiges nach Hause zu berichten. Deshalb ist die Briefkontrolle in den Kompanien verschärft worden. Das Leben geht hier seinen alten Gang. Die Division drängt leider immer mehr und die Hetze wird jeden Tag ärger. … Gerhart schrieb mir, ich solle ihn doch besuchen. Möglichst bald, da sie dort dieselbe Ahnung haben wie wir. Er schrieb: vereor, ne prius quam omnes putent hostes aggrediamur. Ich habe vor 4 Tagen Urlaub eingereicht mit der Begründung, dass meine Atmungsorgane infolge meines Lungenschusses geschwächt wären und ich deshalb einer Luftveränderung bedürftig wäre. Das Gesuch ist ans Korps gegangen. Ich nehme an, dass es abschlägig beschieden werden wird, da nach dem gestrigen Regimentsbefehl Urlaub nur noch in dringenden Fällen, und zwar nur vom Korps (bisher konnten Mannschaften vom Regiment beurlaubt werden) gewährt würde. So bin ich hinten runtergerutscht. Major von Langsdorff, der sehr gichtleidend ist, wurde Erholungsurlaub auch verweigert. Ein bisschen Hoffnung habe ich aber doch, da ich noch keine negative Antwort habe. Bitte Lektüre! Goethes Meisterdramen in Reclam! Ich habe gar nichts Rechtes zu lesen. Sonst ist die Post von zuhause auch recht spärlich. Was aber kommt, ist exquisit. So die Basler Leckerli. – Dein Brief vom 24. des Monats freute mich sehr. Schön ist es, dass wir unser Haus so schnell losgeworden sind trotz der Kriegszeit. Ich denke, in Freiburg wird‘s auch nett werden. Mit den Herren meiner Kompanie stehe ich wirklich gut und das Zusammenleben ist nett. …

W.

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